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Lisa P. ist tot – Mein persönlicher Nachruf

Posted on October 11 2017

Heute morgen ist Lisa P. friedlich eingeschlafen. Einen Tag zuvor bekam sie zweimal eine Morphiumspritze, die ihr das Atmen erleichtern sollte. Eine mir Bekannte hat die Nacht in ihrer Wohnung verbracht und berichtet, dass sie dennoch schwer geatmet habe.

Lisa P. lernte ich vor 45 Jahren kennen. Ich war ein junger Spund und habe in den Orthopädischen Anstalten Volmarstein, heute Evangelische Stiftung, zunächst mit einem Team verstärkt Jugendarbeit und danach Freizeitarbeit für behinderte Menschen gemacht.

Lisa war Abteilungsleiterin. Ich musste bei ihr vorsprechen, um behinderte Mitarbeiterinnen ihrer Abteilung zur Teilnahme an Tagesfreizeiten „loszueisen“. Denn meine Freizeitarbeit beschränkte sich nicht nur aufs Wochenende, sondern geschah an allen Tagen. Dabei waren Tages- und Wochenendausflüge die Regel. Auch acht- bis vierzehntägige Freizeiten wurden angeboten.

Lisa war stets kooperativ, auch wenn die Auftragslage für ihre Abteilung manchmal den Verzicht auf Mitarbeiterinnen nicht zuließ.

Nach 1980 kamen wir uns auch privat näher, weil ich ein Jahr in jenem Wohnhaus für Mitarbeiter in Volmarstein lebte, in dem auch Lisa bis zu ihrem Ableben ihre Wohnung hatte.

Vor drei Jahren wurde ich mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. Lisa rutschte versehentlich aus dem Rollstuhl und ihr Körper krachte auf beide Füße. Diese waren gebrochen. Nun war Lisa querschnittsgelähmt und anfällig für Dekubituserkrankungen. In der Klinik wurde ein Unterschenkel komplett eingegipst und das war ein Fehler. Die Ferse drückte in den Gips und es entstand ein Dekubitus, also eine Hautentzündung. In der Folge begann der Fuß zu stinken. Nach Entfernung des Gipses sah man die Katastrophe. Lange Schreibe kurzer Sinn: Der Unterschenkel musste amputiert werden.

Kurze Zeit später entdeckte man einen Hirntumor, der nicht vollständig entfernt werden durfte. So wurde sie zweimal am Gehirn operiert und litt in der Folge unter epileptischen Anfällen. Inzwischen war sie 82 Jahre alt. In ahnungsvoller Voraussicht habe ich für sie schon vor drei Jahren Behindertenassistenz beantragt und, weil dies viel Geld kostet, auch Sozialhilfe.

Die Sozialhilfe wurde nach endlosem Schreibkram und ständigen Anforderungen irgendwelcher Unterlagen durch das Sozialamt Wetter endlich genehmigt. Beispielsweise wollte man ihr das Behindertenfahrzeug mit den Sozialleistungen verrechnen. Obwohl das Verwaltungsgericht Arnsberg die Notwendigkeit dieses Autos ausdrücklich bestätigte, bestand das Sozialamt auf Beweise. Die hatte ich sogar zur Hand. Das Gerichtsverfahren fand in Lisas Wohnung statt. Ich war dabei und auch ihre Schwester Lotte S. Auch hatte ich einen Anwalt aus dem Freundeskreis gewinnen können. Eine weitere Bekannte war ebenfalls anwesend und kann den Verhandlungsverlauf bestätigen. Das reichte der Stadt überhaupt nicht; sie forderte das Urteil an. Die Möglichkeit der Glaubhaftmachung hatte das Sozialamt schlichtweg ignoriert.

Tja, Lisa rechnete nach der ersten Hirn-OP mit ihrem Tod und sagte zu ihrer Schwester Lotte: „Schmeiß alles weg“. Und so wurden alle Dokumente vernichtet.

Der Ennepe-Ruhr-Kreis lehnte die Behindertenassistenz ab und verwies auf den Klageweg. Im Rahmen der Beantragung wurden die gleichen Unterlagen angefordert, die auch das Sozialamt forderte. Austausch zwischen den Behörden, der zuvor und auch nach der Ablehnung hervorragend funktionierte, fand nicht statt. Ich bekam mehr und mehr das Gefühl: Die Ämter wollen mich mürbe machen; ich soll kapitulieren. Das tat ich nicht und ich stand Lisa weiter zur Seite. Mehr und mehr verfestigte sich der Eindruck: Man will das Problem Lisa P. aussitzen. Man wartet auf ihren Tod.

Behördenterror erlebte ich auch zunächst mit der Krankenversicherung DAK. Lisa P. brauchte Hilfsmittel. Einen Lifter, einen Elektrorollstuhl, Kleinigkeiten. Alles wurde abgelehnt. Dann entschied man sich doch für die Genehmigung eines Elektrorollstuhls, der allerdings für die bergige Umgebung in Volmarstein völlig ungeeignet war. Es musste befürchtet werden, dass die kleinen Motoren in Flammen aufgehen. Letzte Rettung war der Vorstand der DAK. „Ich bin überzeugt davon, dass Sie nicht gutheißen können, wie Ihre Abteilungen mit der schwerstbehinderten Frau umgehen“, schrieb ich damals an den Vorstand. Dann ging alles ganz schnell. Lisa bekam alle Hilfsmittel in der gewünschten Ausstattung.

Permanenten Ärger hatte Lisa auch mit dem Ambulanten Dienst. Dieser wollte Kasse machen und kürzte die Zeiten immer mehr. Erst nach einer Aussprache und meiner Aufforderung, den tatsächlichen Zeitbedarf durch die Leiterin der Ambulanz durch persönlichen Einsatz festzustellen, war dieses Thema vom Tisch. Die letzte Eskapade war ein offensichtlicher Versicherungsbetrug. Es wurden Leistungen abgerechnet, die nicht erbracht wurden.

Nun ist Lisa P. tot. Was bleibt noch über sie zu schreiben? Sie war eine elegante Frau, stets gut gekleidet und wohlriechend. Bei ihrem künstlichen Darm- und Harnausgang war dies keine Selbstverständlichkeit. Die Pflege der Ausgänge war sehr zeitraubend. Ihre Freundlichkeit und Bescheidenheit öffneten ihr die Tür für Freunde, die ihr in schweren Zeiten zur Seite standen. Das waren junge Menschen, die in den letzten Wochen Nachtwache hielten und andere, die sie immer wieder seelisch aufbauten. An dieser Stelle nenne ich nur die Vornamen derer, die Lisa besonders zur Seite standen: Nicole, Vivien, Anette.

Nach jedem Besuch bedankte Lisa sich. Heute bleibt auch mir nur ein Satz: Danke, danke, großartige Lisa. Danke dafür, dass ich Dich kennenlernen durfte.

 

Hier noch einmal Lisas Kampf mit dem Sozialamt Wetter (Ruhr):

http://jacobsmeinung.over-blog.com/2017/10/abschied-von-lisa-p.und-trotzdem-danke-danke.html

http://jacobsmeinung.over-blog.com/2017/10/lisa-p.kampft-um-jeden-tag-sozialamt-wetter-weiter-unbarmherzig-nachtlicher-beistand.html

http://jacobsmeinung.over-blog.com/2017/09/lisa-p.will-sterben-sozialamt-wetter-verweigert-immer-noch-behindertenassistenz.html

http://jacobsmeinung.over-blog.com/2017/09/beutet-sozialamt-wetter-lotte-s.schwester-von-lisa-p.aus.html

http://jacobsmeinung.over-blog.com/2017/09/der-lange-leidensweg-der-lisa-p.lisa-braucht-ihre-hilfe.html

 

 

Comment on this post
L
...und mir bleiben nur noch Erinnerungen, an ihr herzliches Lachen, ihre lebensbejahende Einstellung und an tolle Ausflüge, wie zuletzt dem Essener Weihnachtsmarkt!<br /> Ruhe in Frieden, liebe Lisa!!!! <br /> Ein wunderbares Foto von Dir auf dem Weihnachtsmarkt werde ich zusammen mit einer Kerze aufstellen.
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