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Geburtstag

Posted on April 2 2017

(aus meinem unveröffentlichten Buchkonzept "Teufel im Talar - Über allem die Liebe")

Heute feiert Dr. X. Y. seinen 75. Geburtstag. Nach seinem Abschied aus einem Krankenhaus einer Einrichtung für Körperbehinderte wurde er Teilzeit-Rentner. Er hilft seinem Sohn in der Praxis und seine Kunden sollen begeistert sein. Das war nicht immer so, zumindest nicht in dem Krankenhaus, in dem er zunächst Oberarzt, dann Chefarzt wurde.

Zwei Erlebnisse bleiben unvergeßlich. In den 60er Jahren schrien die Kinder unter seinen Schlägen. Besonders Klaus hatte regelmäßig unter ihm zu leiden. Einmal wöchentlich kam X. Y. zur Visite auf die Kinderstation. Schwester Eugenie nutzte die Gunst der Stunde und seine gewaltigen Wutausbrüche, ihm zuzustecken, daß Klaus nachts wieder einmal mit dem Kopf gewackelt habe. Dies wollte X. Y. ihm selbstverständlich schleunigst austreiben. So schlug er ihn mit jenem Stock, der die Gehbehinderung des Kindes ausgleichen sollte, in schöner Regelmäßigkeit zusammen. Er, der Schmerzen lindern und Krankheiten heilen sollte, peinigte kleine Jungen und Mädchen, denen Krankheit und Schmerzen in die Wiege gelegt waren.

In Kürze wird X. Y. vor seinen Schöpfer treten. Ob er dann auf seine Schlägerzeit angesprochen wird? Ob ihn sein Heiland fragt: Kain, wo ist Dein Bruder Abel? Mehr noch möchte ich wissen, ob ihn heute, mitten im Endstadium seines Lebens, die Schreie der Kinder quälen, sie ihn gelegentlich nachts verfolgen? Oder ob er seinem Gewissen schon nach den Mißhandlungen Absolution erteilt und diese Taten aus seinem Gedächtnis gestrichen hat.

Zahlreiche Legenden reihen sich um ihn, angereichert mit weiteren Greueltaten aus seiner Zeit als Medizinmann unter diakonischem Auftrag. Ich will sie nicht alle breittreten, weil es da auch die Story gibt, daß X. Y. Mitte der 60er Jahre Gertraude S. das Handwerk gelegt und seine Aussagen dazu beigetragen haben sollen, daß sie, Inbegriff des Satans in Menschengestalt, fortan nicht mehr Lehrerin in dem Kinderheim sein durfte, über das ich an anderen Stellen ausführlich erzähle.

Meine zweite Erinnerung ist die an einen Rauhbein mit humanitär-menschlichen Zügen. Nach stundenlangem Eckenstehen sackte ich seinerzeit so zusammen, daß mein Kinn auf dem Boden aufprallte und ich eine Platzwunde am Kinn erlitt. Ich wurde ins Krankenhaus gebracht und hörte mit Entsetzen, daß X. Y. diensthabender Notarzt sei. Zitternd und heulend kroch ich ins Behandlungszimmer. Wundschmerzen hatte ich längst nicht mehr. Ich litt unter der Angst vor bevorstehenden Schmerzen, die ich durch die Hand von X. Y. erwartete. Er besah sich meine Wunde und brüllte los: "Wenn Du jetzt heulst, kriegste eins in die Fresse. Wenn Du tapfer bist, kriegste 5 Mark!" Die Seele bebte und plötzlich wurde ich ein Held. Indem er die Platzwunde mit einem zangenähnlichen Gerät zweimal klammerte, schrie ich meine Schmerzen in mich hinein. X. Y. hielt sein Versprechen.

 

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